Somna

Somna
Autoren: Cloonan, Becky; Lotay, Tula
Übersetzer: Neubauer, Frank
Format: 20x28
Seitenanzahl: 168
ISBN: 978-3-98666-714-6
Cross Cult

*Somna* ist ein düster-verführerisches Märchen zwischen Erotik, Tod und weiblicher Selbstermächtigung – ein Comic, der sich anfühlt wie ein Traum, aus dem man nicht erwachen will, oder ein Albtraum, den man nicht loslassen kann.

Die Geschichte ist auf den ersten Blick schlicht, aber von archaischer Kraft: In einer namenlosen Welt, die zwischen Feenmythos und viktorianischer Gothic-Romantik oszilliert, begegnet eine junge Frau, von Schuld und Schmerz gezeichnet, einer geheimnisvollen dunklen Gestalt – Somna, einer Todesgöttin, einer Verführerin, einem Spiegel der unterdrückten Begierden. Die Handlung folgt keiner geradlinigen Entwicklung, sondern gleitet assoziativ durch Gefühle, Visionen und symbolisch aufgeladene Begegnungen.

Becky Cloonan (*By Chance or Providence*, *Batman*) hat hier kein konventionelles Script geschrieben, sondern eine Art poetischen Text, der sich mit der Kraft alter Mythen und moderner Traumlogik verbindet. Die Dialoge sind minimalistisch, fast wie liturgische Verse, voller Andeutungen und innerer Konflikte.

Tula Lotay (*Supreme: Blue Rose*, *Bodies*) entfaltet mit ihrem Artwork eine visuelle Pracht, die so atemberaubend ist wie verstörend. Ihre aquarellartigen Farbflächen, überlagert von feinen Linien, changieren zwischen sinnlich, morbide und mystisch. Jede Seite wirkt wie ein Einzelkunstwerk – mal wie ein Jugendstilgemälde, dann wie ein Fiebertraum.

Besonders eindrucksvoll ist ihr Umgang mit weiblichen Körpern: sinnlich, aber nie voyeuristisch; verletzlich, aber nicht schwach. Lotay erschafft ein visuelles Universum, das nicht nur schön, sondern auch bedrohlich ist – passend zur Figur der Somna, die nie ganz fassbar, nie eindeutig gut oder böse ist.

Die Seitenkomposition ist offen, träumerisch, fast filmisch. Übergänge verschwimmen, Realität und Vision vermischen sich. Leser\*innen müssen sich treiben lassen – ein Comic, der mehr fordert als erzählt.

*Somna* ist mehr als nur Dark Fantasy. Es ist ein femininer Abgesang auf Kontrolle, Unterwerfung und Schuld. Sexualität, Trauma, Tod – alles fließt ineinander. Dabei gelingt Cloonan und Lotay etwas Seltenes: eine erotische Erzählung ohne Exploitation, ein psychologisches Drama ohne Pathos.

Die Titelfigur steht für Lust und Vergessen, vielleicht auch für Befreiung – aber immer mit doppeltem Boden. Sie erscheint, wenn Frauen am tiefsten Punkt angekommen sind. Ob sie rettet oder verschlingt, bleibt offen.

*Somna* ist kein Comic für zwischendurch – es ist ein Kunstwerk, das Zeit und Offenheit verlangt. Wer sich auf die narrative und visuelle Rätselhaftigkeit einlässt, wird mit einem intensiven Erlebnis belohnt, das noch lange nachwirkt.

Ein Buch für Liebhaber\*innen des Abgründigen, für Fans von Neil Gaiman, Emily Carroll oder *The Sandman* – nur expliziter, weiblicher, kompromissloser.

Ein ästhetisch radikales Werk – schön wie ein Dolch mit Rosenmuster.

Hairball